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Wenn es Dir hier nicht passt ...

von Thomas Schmid, Bangkok

Rosarote Brille
Foto: Peter Berger / TIP-Archiv

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, geneigter Leser, aber wenn Sie schon zig Jahre in Thailand wohnen, dann haben auch Sie mit höchster Wahrscheinlichkeit inzwischen die sprichwörtliche „rosarote Brille“ der aufregenden „Sturm- und Drangzeit“ Ihrer Anfangsjahre abgelegt. Irgendwann fingen Sie einmal damit an, hinter die Kulissen zu blicken und haben festgestellt, dass auch in Thailand – und egal, was das einheimische Fremdenverkehrsamt TAT in seinen internationalen Werbekampagnen gerne vorgaukelt – nicht immer alles ganz koscher ist. Es existieren Probleme auf unterschiedlichen Ebenen. Viel wird auch unter den Tisch gekehrt, um das Image des Landes zu wahren. Allzu oft erfährt man dann aber dennoch von Dingen, über die man sich dann nur ungläubig fragen kann: „Kann das wirklich möglich sein?“ Natürlich ist Thailand nicht das einzige Land auf der Welt, in dem es Probleme gibt oder in denen gewisse Zustände an den Tag kommen, die einen nur mit dem Kopf schütteln lassen. Da wir aber in Thailand leben, beschäftigen wir uns naturgemäß in erster Linie mit „hausgemachten“ Themen. Und jawohl, bisweilen regen wir uns darüber auf, kritisieren, machen uns Luft. Das ist nur normal. Was in Paraguay oder Simbabwe passiert, berührt uns relativ wenig. Viele unter uns haben sogar nur noch wenig Bezug zu Deutschland, Österreich oder zur Schweiz. Wir sind einfach zu weit vom Schuss. Also muss halt Thailand herhalten, denn was hier abläuft, hat auf uns Langzeitansässige oder Aussiedler einfach eine mehr oder weniger starke Auswirkung. So interessieren wir uns beispielsweise heutzutage weitaus mehr für thailändische Politik. Hiesige gesellschaftliche Querelen und soziale Missstände fallen ebenfalls mehr ins Gewicht, als das dereinst der Fall gewesen sein mag. Auch der hierzulande galoppierende Amtsschimmel mit seinen zig, oftmals nur schwierig nachzukommenden Auflagen und Anforderungen kann uns mitunter schwer zusetzen, uns manchmal vielleicht sogar verzweifeln lassen.

Und wir regen uns auf, und wir kritisieren, und wir machen uns Luft. Das kann auf unterschiedliche Arten passieren, vielleicht sogar in einem Internetforum. Aber gerade dort treffen wir dann gelegentlich auf Zeitgenossen, die unsere Haltung überhaupt nicht verstehen können oder wollen, obwohl wir möglicherweise Dinge zur Sprache bringen – ankreiden, kritisieren, bemängeln – die durchaus ihre Berechtigung haben mögen. Wir mosern ja auch nicht nur um des Moserns willen, sondern weil wir eine Sachlage bemängeln wollen, die uns entweder direkt oder indirekt betrifft. Nicht ganz selten wird uns auf unsere Eingaben dann vor den Latz geknallt: „Wenn es Dir hier nicht passt, dann solltest Du die Koffer packen und dorthin zurückgehen, wo Du hergekommen bist!“

Ich habe diesen Satz seit jeher abgelehnt. Diese Aufforderung ist für mich kein Argument, sondern eher der Ausdruck von Gedankenarmut. Wer keine passenden Argumente finden kann oder will, kommt mit „Wenn es Dir hier nicht passt …“ daher. Es ist lächerlich, unangebracht und kann nicht ernst genommen werden. Ich illustriere das auch gerne mit einer kleinen Metapher: Nehmen wir an, Sie sitzen in einem Restaurant, in dem Sie seit vielen Jahren Stammgast sind. Der Kellner serviert Ihnen die bestellte Suppe. Als Sie mit dem Essen beginnen, finden Sie ein Haar in der Suppe. Sie sind natürlich voll im Recht, wenn Sie sich darüber beschweren. Sodann hören Sie jedoch die lautstarke Aufforderung: „Wenn es Ihnen in diesem Restaurant nicht passt, dann ziehen Sie gefälligst ab!“ Das Problem ist nur, dass Ihnen diese unerhörte Aufforderung weder vom Kellner, noch vom Koch, noch vom Restaurantmanager zugerufen wird, sondern von einem anderen Gast am Nebentisch! Zu allem Überfluss stellt es sich dann auch noch heraus, dass dieser Gast das Restaurant heute zum allerersten Mal besucht und sich „haar“genau die gleiche Suppe, wie Sie bestellt hatte, die er auch begeistert und unter Lobpreisungen gierig hinunterschlingt.

So sieht es nämlich aus, geneigter Leser. Jene Zeitgenossen, die sich häufig und gerne mit dem unglaublich ignoranten „Wenn es Dir hier nicht passt …“ aufspielen, sind meiner Erfahrung nach entweder nur gelegentliche Thailandurlauber oder leben erst seit verhältnismäßig wenigen Jahren im Königreich. In aller Regel tragen sie die „rosarote Brille“, ohne sich jedoch darüber bewusst zu sein. Zumeist sehen sie sich selbst als waschechte „Thailandexperten“ an, die über alles Bescheid wissen, und deren Beurteilungen zumindest ihrer Meinung nach unumstößlich richtig, wahr und korrekt sind.

Ohne Scham gebe ich zu, dass ich dereinst auch einmal die „rosarote Brille“ trug. Alles, wirklich, wirklich alles an Thailand fand ich super gut. Das Land war ein Paradies auf Erden, es hatte keinerlei negative Seiten, alles war nur rundum fantastisch. Diese Phase hielt bei mir gute vier Jahre lang an und ich nehme deshalb an, dass etwa ein halbes Jahrzehnt ganz allgemein auch bei anderen Zeitgenossen als „Rosarote Brillenzeit“ einzustufen wäre. Es gibt dazu weitere Indizien. Immer wieder einmal treffe ich zum Beispiel in einer Bar auf Zeitgenossen, mit denen ich bisweilen ins Gespräch komme. Wenn ich bei der Auswahl meines Gesprächspartners Pech habe, fängt dieser alsbald an, mich voller Inbrunst und aus tiefster Überzeugung über Thailand „aufzuklären“ und wie „die Dinge hier laufen“. Da möchte ich meist schon nach wenigen Minuten zu gähnen anfangen, höre mir den Schmarren jedoch aus Anstand geduldig und kopfnickend weiter an. Irgendwann brüstet sich der „Thailandexperte“ dann mit stolzgeschwellter Brust, er lebe ja bereits seit zwei Jahren im Lande und habe deshalb den vollen Durchblick. Eine Variation wäre es, wenn der Unsinnquatschende seinen Expertenstatus dadurch untermauert, dass er nun bereits fünf Jahre hintereinander Urlaub in Thailand mache – und jedes Mal gleich für drei Wochen! Aha, zusammengerechnet 15 Wochen, die man überwiegend besoffen in einem Touristenort in Bars, Diskos und am Strand verbrachte, verleihen einem also Expertenstatus.

Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen solche Quatschköpfe bestimmt auch schon einmal begegnet sind, geneigter Leser. Irgendwann lege ich dann immer meine Tarnung ab und enthülle, dass ich bereits seit über zwei Jahrzehnten hier wohne. Na, da sollten Sie mal sehen, wie die Kinnladen herunterklappen, besonders wenn ich dann auch noch eine Konversation mit dem Barpersonal auf Thailändisch anstrenge. Es ist eine wahre Genugtuung, denn urplötzlich werden die selbsternannten „Thailandexperten“ auffällig kleinlaut.

„Wenn es Dir hier nicht passt, solltest Du die Koffer packen und verschwinden!“, klingt der Chorus. Selbst wenn man diesem Rat Folge leisten würde, wäre das gar nicht so ohne Weiteres möglich, zumindest bei den meisten unter uns. Wir haben uns im Laufe der Jahre hier ein neues Leben aufgebaut. Wir haben hier geheiratet, eine Familie gegründet, verdienen unsere Brötchen hier und haben mitunter auch viele Brücken zur einstigen Heimat abgebrochen. Wir können nicht einfach die Koffer packen. Kurzum: Thailand ist jetzt unsere Heimat. Und schon alleine deshalb – nämlich weil unser Leben hier in Thailand abläuft – dürfen und sollen wir uns durchaus auch das Recht herausnehmen, unhaltbare Zustände zu kritisieren und zu bemängeln. Eine weitere Metapher soll auch dies beleuchten: Wir besuchen einen wunderschönen Sandstrand, beschattet von sich in einer warmen Brise wiegenden Palmen. Das Meer glitzert in der tropischen Sonne, das Wasser erscheint uns glasklar und öfters planschen wir in diesen himmlischen Fluten. Alles ist einfach großartig. Irgendwann beginnen wir auch damit, die Umgebung des Strandes zu erkunden, einfach aus dem Grund, weil wir uns hier inzwischen „heimisch“ fühlen. Hinter der nächsten Düne entdecken wir eine stinkende Müllhalde. Am anderen Ende des Strandes stoßen wir hinter einer Gruppe von Felsen auf ein dickes Abflussrohr, dessen penetrant riechendes Abwasser direkt in das gleiche Meer fließt, das wir bislang als „glasklar“ bewertet hatten. Dürfen wir uns da beschweren – oder sollten wir vielleicht doch gleich die Koffer packen, weil es uns hier nicht passt?

„Vergiss nicht, dass Du ein Gast in Thailand bist und Dich daher gefälligst auch so aufzuführen hast!“ ist ein ebenfalls oft gehörtes Argument aus dem unbedarften Munde der „Thailandexperten“. Auch diesem Argument widersetze ich mich jedoch vehement. Ich sehe mich nicht länger als „Gast“ an, sondern Thailand ist meine Heimat. Ich zahle hier seit 23 Jahren meine Steuern, ich gebe mein Einkommen hier aus, ich unterstütze damit die thailändische Wirtschaft, und ich habe eine Arbeitserlaubnis. Das klassifiziert mich meiner Meinung nach nicht mehr länger als „Gast“. Oder wie sehen Sie das, geneigter Leser? Schreiben Sie doch einmal Ihre Gedanken an den TIP, denn wir hören gerne von Ihnen.

Überhaupt könnte ich nun auch noch weiter über die Bedeutung des Wortes „Gast“ sinnieren: Ist es üblich, dass ein „Gast“ vom „Gastgeber“ nach Strich und Faden ausgenommen und allerlei Betrügereien ausgesetzt wird? Gehört es zum guten Ton der Gastfreundschaft, dass einem „Gast“ der zehnfache Eintrittspreis zu gewissen Attraktionen oder Einrichtungen abverlangt wird als dem „Gastgeber“? Ist es zumutbar, dass man als „Gast“ einer Vielzahl von bürokratischen Hürden und manchmal sehr schwierig zu erfüllenden Auflagen ausgesetzt wird, oder sollte man als „Gastgeber“ dem „Gast“ seinen Aufenthalt so angenehm und bequem wie möglich machen? Meine Meinung ist, dass man sich nur dann unbeschwert als Gast fühlen kann, wenn man auch wie ein Gast behandelt wird. Noch wichtiger: Darf man als Gast eigentlich Kritik üben oder muss man wirklich nur alles in sich hineinfressen und als gegeben hinnehmen? Nehmen wir an, Sie weilten mehrere Tage lang als Hausgast bei einer Familie und es stellt sich heraus, dass das zur Verfügung gestellte Bett von Bettwanzen befallen ist, die Sie des Nachts traktieren. Würden Sie das dem Hausherrn zur Kenntnis bringen oder auch für den Rest Ihres Aufenthaltes die nächtliche Tortur über sich ergehen lassen, nur weil sie eben ein Gast sind?

Wie gut, dass sich mir dieses Problem nicht stellt, denn ich bin ja kein Gast (mehr) in Thailand und geniere mich deshalb nicht, gerechtfertigte Kritik zu üben. Aber wie gesagt, wenn es mir hier nicht passt, könnte ich ja genauso gut die Koffer packen und hingehen, wo der Pfeffer wächst. Das ist, glaube ich, unter anderem in Madagaskar.

Erschienen in der TIP-Ausgabe 2013-9

 

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